Der „Götze von Bardowick“

1704 veröffentlichte der Bardowicker Chronist Christian Schlöpke sein Werk „Chronicon oder Beschreibung der Stadt und des Stiffts Bardewick“, das von dem besonders hohen Alter, der früheren Bedeutung und der Zerstörung Bardowicks durch Heinrich den Löwen im Jahr 1189 handelt. Seit der Renaissance kursierten unter den Gelehrten verschiedene Theorien zur Herkunft des Ortsnamens Bardowick. Schlöpke favorisierte eine Lesart als „Sitz der Barden“. Druiden und Barden sprach man seinerzeit priesterliche Funktionen in der vorchristlichen Religion zu.

Solche Vorstellungen wirkten sich auf die Deutung der kleinen, nur etwa 5 cm hohen Messingfigur aus, die zwischen 1720 und 1730 „im Boden unter Bardowick“ gefunden wurde. Genauere Fundumstände sind nicht überliefert. Die erste Beschreibung stammt von Ludwig Albrecht Gebhardi, einem Professor der Lüneburger Ritterakademie, der dieses kleine Fragment in sein Raritätenkabinett aufgenommen hatte und darüber 1777 im Rahmen eines Aufsatzes „Ueber die Kunst der heidnischen Teutschen“ berichtete. Gebhardi deutete die Figur als „Priester im leinenen langen Kleide, welcher auf dem Altar saß, und die Götter um Beystand anrief“ oder als „einen noch nicht bekannten Abgott“. Die Vorstellungen von Bardowick als einem religiösen Zentrum der vorchristlichen Zeit flossen ganz offensichtlich in solche Überlegungen ein.

Gebhardis Deutung als „Götze“ ist typisch für die ältere Vorgeschichtsforschung, die im Boden häufig auf kleine Fragmente und Bruchstücke des christlichen Mittelalters gestoßen war und ältere, heidnisch-kultische Zusammenhänge in sie hineingedeutet hatte.

Mit der Auflösung der Ritterakademie gelangte der „Götze“ über den Altertumsverein in die Sammlungen des Museumsvereins für das Fürstentum Lüneburg. Im Inventarbuch der vorgeschichtlichen Sammlung wurde die Figur Ende des 19. Jahrhunderts nur noch als „der sogenannte Götze des alten Katalogs“ bezeichnet, nachdem man sie als Metallguss des Mittelalters identifiziert und als romanische Leuchterfigur bestimmt hatte.

Es könnte sich aber auch um die Figur eines auferstehenden Adam handeln, wie er bisweilen bei Kreuzfüßen (Halterungen für tragbare Altarkreuze) anzutreffen ist. Das Motiv bezieht sich auf die christliche Legende, wonach Adam auf dem Golgatha-Hügel bei Jerusalem begraben lag und durch das Blut Jesu am Kreuz getauft und vom Tode erlöst wurde. Die Darstellung der Adamsfigur zeigt ihn üblicherweise im Moment nach dem Erwachen, im Begriff aufzustehen und den Sarkophag zu verlassen, dabei sind sein Blick und die Arme nach oben gerichtet. Für die Interpretation des vermeintlichen „Götzen“ als auferstehender Adam sprechen die sitzende, halb aufgerichtete Position und der Umstand, dass der untere (ursprünglich durch einen umgebenden Sarkophag nicht sichtbare) Teil der Figur kaum ausgearbeitet ist.

(Ulfert Tschirner)

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