Kasserolle aus dem sog. Fürstengrab I aus Marwedel bei Hitzacker

Zwischen 1928 und 1944 wurden auf dem Scharfenberg bei Hitzacker die Überreste von zwei, möglicherweise sogar drei sog. Fürstengräbern entdeckt und freigelegt. Ein halbes Jahrhundert später konnten ferner die Reste einer gleichzeitigen, bereits seit längerem bekannten Siedlung ausgegraben werden, die sich unweit dieser Gräber befand und in der manche den legendären Ort Leuphana sehen möchten. Die Funde aus den Gräbern befinden sich heute in den Museen in Hannover und Lüneburg, in Hitzacker selbst werden Kopien ausgestellt.

Stieltopf aus Bronze mit einem fein eingeritzten, silbrig schimmernden Zierband unterhalb des Gefäßrandes
Kasserolle aus dem sog. Fürstengrab I aus Marwedel bei Hitzacker (Foto: Museum Lüneburg)

Der hier gezeigte Fund stammt aus dem sog. Fürstengrab I, dessen Inventar in der Lüneburger Ausstellung gezeigt wird. Es handelt sich um eine Bronzekasserolle römischer Herkunft, die gemeinsam mit weiteren Metallgefäßen gleicher Herkunft zu den Beigaben eines der bei Hitzacker bestatteten Toten zu rechnen ist. Ihre Besonderheit verdanken die Marwedeler Gräber jedoch nicht allein ihrer reichen Beigabenausstattung. Mindestens ebenso bemerkenswert ist die Tatsache, dass die dort begrabenen Toten nicht – wie seinerzeit üblich – vor der Beisetzung verbrannt wurden, sondern stattdessen als Körperbestattung zur letzten Ruhe gebettet wurden. Damit reihen sie sich ein in eine Gruppe weiterer Gräber dieser Zeitstellung, die von Archäologen als Überreste einer römisch beeinflussten Oberschicht im freien Germanien angesehen werden. Jene Eliten waren – oftmals sogar durch direkten Kontakt (etwa als „Fremdenlegionäre“) – vom Lebensstil des römischen Reiches beeinflusst und beschäftigten sich mit der Adaption militärischer und technologischer Errungenschaften der Römer.

Zugleich sind diese Funde – ablesbar an ihrer Verbreitung – auch ein Indiz für die zunehmende Mobilität dieser Bevölkerungsschichten; Gefolgschaften, die nur einem Anführer verpflichtet waren, gewannen zunehmend an Einfluss unter den germanischen Stämmen zur Römerzeit. So unternahmen die an der Niederelbe beheimateten Langobarden bereits im Jahre 166 n. Chr. einen Vorstoß in das römische Pannonien, gelegen im heutigen Ungarn – einer der wesentlichen Auslöser der Kriege gegen die dort lebenden Markomannen in jener Zeit. Zugleich siedelten Langobarden auch die westliche Altmark auf, während gleichzeitig eine ganze Reihe von Urnengräberfeldern an der unteren Elbe aufgelassen wurde – unter ihnen auch jenes aus dem unweit von Marwedel gelegenen Darzau, auf dem so bekannte Archäologen wie Christian Hostmann, Carl Schuchhardt, Wilhelm Keetz und der durch seine Grabungen in Babylon bekannt gewordene Robert Koldewey Ausgrabungen durchführten.

Angesichts der weitreichenden Veränderungen der Kräfteverhältnisse im Innern Germaniens wird auch das militärische Engagement Roms im Gebiet des heutigen Niedersachsen verständlich – jede Änderung konnte u. U. auch römische Sicherheitsinteressen tangieren. Im fortgeschrittenen 3. Jahrhundert erfolgte eine weitere Ausbreitung elbgermanischer Elemente in Richtung Main und Südwestdeutschland, es kam zum Durchbruch des obergermanisch-raetischen Limes, des römischen Grenzwalls und zu Überfällen von Elbgermanen in Gallien und Italien. Höhepunkt der langobardischen Expansion in Richtung auf das Gebiet des römischen Reiches sollte jedoch erst der Einfall nach Italien im Jahre 568 sein. Die Marwedeler Fürstengräber sind somit erst ganz an den Anfang dieser Prozesse zu setzen.

Diskutiert wird in diesem Zusammenhang die Frage, ob die beiden bei Hitzacker beigesetzten Krieger nicht auch bei dem militärischen Ereignis beteiligt gewesen sein könnten, dessen Überbleibsel man vor einigen Jahren am sog. Harzhorn im Süden Niedersachsens fand. Die Urnen der dort in einiger Entfernung beigesetzten Toten waren von kleinen Grabhügeln bedeckt, ebenso wie auch die Marwedeler Gräber wohl einst von Grabhügeln bedeckt waren. Es ist erwiesen, dass nicht lange danach in der unmittelbar westlich anschließenden Ilmenauregion Urnengräberfelder angelegt werden, deren Bestattungen oft auch mit einem kleinen Hügel überdeckt wurden und deren Vorbilder – ebenso wie das in Marwedel zur Anwendung gelangte Bestattungsbrauchtum – mit einiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls im römischen Reich gesucht werden müssen.

(Dietmar Gehrke)

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