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Tonmodel und Terrakottaplatte

Museum – drinnen & draußen, Teil 6

Im Jahre 1543 schloss der Rat der Stadt Lüneburg mit einem Ziegelmeister namens Hans Fhase einen Vertrag. Der genannte „teygelmester“ sollte sich in Lüneburg niederlassen und sich seiner Kunst widmen, große zierliche quadratische Steine für Haustüren, Giebel und Schornsteine (Kamine) und sonstiges Mauerwerk produzieren und brennen zu lassen. Tatsächlich kennen wir diese Produkte, nämlich Terrakottamedaillons und Terrakottaplatten, einen Kaminfries und ein Portal an Lüneburger Häusern, in der Sammlung des Museums Lüneburg und als archäologische Funde. Doch Hans Fhase taucht in den Quellen des Lüneburger Stadtarchivs nicht wieder auf. Stammen die Lüneburger Terrakotten etwa aus Lübeck, aus der Werkstatt des Statius von Düren? Dieser 1551 erstmals genannte Ziegelmeister produzierte unter anderem für den Herzog von Mecklenburg. Wir finden seine Terrakotten nicht nur in Lübeck und am Fürstenhof in Wismar, sondern auch in Stralsund.

Dennoch schmückten seit 1543 farbig glasierte Terrakotten eine Lüneburger Fassade, den Flügelbau des Brauhauses An der Münze 8a. Ein Medaillon mit dem Portrait eines bärtigen Mannes trägt die Jahreszeit 1543. Und eine Ausgrabung auf dem Grundstück einer ehemaligen Töpferei im Schatten der Michaeliskirche brachte eine neue Dynamik in die Frage „Lübeck oder Lüneburg“. Denn dort wurde nicht nur ein Tonmodel, also eine Negativform, mit der Jahreszahl 1543 ausgegraben, sondern weitere geborgene Model dienten der Herstellung von Terrakotten, die wir von der heutigen Industrie- und Handelskammer am Sande kennen. Eine Terrakottaplatte über dem Eingang trägt die Jahreszahl 1548. In Lüneburg startete die Herstellung dieser farbig glasierten Terrakotten offensichtlich früher als in Lübeck.

Tonmodel und Terrakottaplatte mit Darstellung eines Kriegers
Tonmodel, ausgegraben in einer Lüneburger Töpferei, rechts: Terrakottaplatte Am Sande 1, datiert 1548

Wie kommt man nun in dieser Frage weiter? Weder Kunsthistoriker, Historiker noch Archäologen hatten schlüssige Antworten. Das Forschungsprojekt „Die wirtschaftlich-kulturelle Bedeutung des Rohstoffes Ton für die Backsteinstadt Lüneburg“, das von der Volkswagenstiftung im Rahmen der Initiative „Forschung in Museen“ gefördert wurde, erbrachte aber erstaunliche Ergebnisse. Lüneburger Tonreliefs und Tonmodel, Terrakottareliefs aus Lübeck und Stralsund und durch Bohrungen gewonnene Tonproben an ehemaligen Ziegeleistandorten in Lübeck und Lüneburg wurden am Institut für Mineralogie der Leibniz Universität Hannover analysiert. Mit dem Ergebnis: Einige Tonmodel und einige Terrakottareliefs, die in der Töpferei ausgegraben wurden, sind eindeutig aus Lüneburger Tonen gebrannt.

Lüneburg war also in der Vermittlung der Terrakottakunst in Nordeuropa führend. In der Gestaltung der Reliefs orientierte man sich an italienische Terrakotten etwa aus Florenz oder Lucca. In ihrer Farbigkeit erinnern die glasierten Terrakotten der Lüneburger Töpferei tatsächlich an Produkte etwa der Töpferfamilie de la Robbia. Bei der weißen Glasur handelt es sich um eine Zinnglasur. Die Technik der Zinnglasur erreichte den Alpenraum Ende des 15. Jahrhunderts. Von Bedeutung für die Lüneburger Produktion kann die frühe niederländische Majolika-Produktion sein. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts ließen sich in Antwerpen, das damals zu den südlichen Niederlanden gehörte, Italiener aus der Toskaner nieder, die zinnglasierte Irdenware produzierten. Nicht allein schriftliche Quellen belegen diese Produktion etwa der Familie de Savino aus Castel Durante, sondern auch Funde von Majolika und insbesondere Produktionsabfall dieser Ware. Weiterhin sind aus den damaligen südlichen Niederlanden polychrom glasierte Bodenfliesen bekannt. Solche „Flämischen Estrichplatten“ gab es auch im Fürstensaal des Lüneburger Rathauses.

Auftraggeber dieser seriell gefertigten Kunst am Bau waren überwiegend Essig- und Bierbrauer, die zwischen 1543 bis 1568 die Fassaden ihrer Häuser mit polychrom glasierten Terrakotten verzieren ließen. Das prominenteste Lüneburger Beispiel ist das Brauhaus Am Sande 1-2. Auch der Kaufmann Lucas Daming, der 1557 eine Parzelle an der Bäckerstraße erwarb, ließ im folgenden Jahr sein Haus mit Terrakotten schmücken. Daming gehört zu den wenigen, denen es gelang, in den exklusiven Kreis der Patrizier aufzusteigen. 1564 wurde er in den Rat gewählt.

Vielleicht spielen drei Lüneburger Terrakottamedaillons eine besondere Rolle. Sie zeigen drei Episoden der Simson-Geschichte aus dem Buch der Richter im Alten Testament: Simson bezwingt einen jungen Löwen, Simson trägt die Tore der Stadt Gaza, Delila schneidet Simson die sieben Locken seines Hauptes ab und er verliert damit seine Stärke. Fazit: Wer Kraft hat, liegt im Vorteil, doch er kann diese Kraft auch schnell verlieren. Eine Botschaft der an Einfluss gewinnenden Brauer an die Lüneburger Patrizier?

Die Lüneburger Terrakotten sind Zeugen eines Kultur- und Technologietransfers, spiegeln die Bedeutung der Stadt in der Architektur der Renaissance wider und berichten von gesellschaftlichen Veränderungen in der Stadt des 16. Jahrhunderts.

(Edgar Ring)

Prof. Dr. Edgar Ring ist Kurator für Archäologie und Leiter der Stadtarchäologie Lüneburg.

Serie „Museum – drinnen & draußen”,  Teil 7
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