Die Getreue Bruderschaft und die Pest in Lüneburg

Serie: Pest und Cholera, Teil 4

In der Sammlung des Museum Lüneburg befinden sich zwei Laden, kleine Kästen, auf deren Vorderseiten jeweils ein Rutenbündel gemalt ist. Neben diesem Symbol der Gewalt über Leben und Tod sehen wir die Inschrift „Vnitas“ (Einigkeit) und einen Totenschädel. Die Laden tragen die Datierung 1625 und 1634 und Inschriften, die besagen, dass diese Behältnisse der Getreuen Bruderschaft gehören. Die Getreue Bruderschaft wurde am 15. August 1565 zur Pestzeit gegründet. Sie war eine Toten- und Begräbnisgesellschaft. Ihre Mitglieder waren verpflichtet, beim Tod eines Bruders oder einer Schwester diese zum Grab zu begleiten und den Sarg zu tragen. 1565, als die Pest besonders stark grassierte und der Rat nicht durchsetzen konnte, dass Schweine nur außerhalb der Tore gehalten wurden und diese Pestwelle wohl mehrere tausend Tote forderte, wurde ein Pestlazarett auf der Breiten Wiese vor den Mauern der Stadt gegründet. Bürgermeister, Ratsherren und Brauer finanzierten die Einrichtung. Das Lazarett wurde bis 1567 genutzt, dann geschlossen, aber 10 Jahre später wieder für Pestkranke geöffnet.

Lade der Getreuen Bruderschaft
Lade der Getreuen Bruderschaft, einer Toten- und Begräbnisgesellschaft, datiert 1634 (Foto: Museum Lüneburg)

Die Pest war seit dem Mittelalter eine der größten Bedrohungen. Die Pandemie trat zuerst in Asien auf und gelangte über die Handelsrouten nach Europa. In Messina nahm der durch Seeleute ausgelöste Seuchenzug seinen Anfang. Mitte des 14. Jahrhunderts sind erstmals Pestzüge in Mittel- und Nordeuropa überliefert. Nur indirekt erfahren wir, dass die Pest auch in Lüneburg grassierte. Eine Urkunde des Konvents zu Michaelis – 1358 verfasst – berichtet, dass ein ewiges Licht und verschiedene Präbenden gestiftet wurden in Erinnerung der Seelen, die an der Epidemie oder Pest, die im Jahre 1350 in Teilen Deutschlands auftrat, verstarben. Der Lüneburger Ratsschreiber Dirick Bromes vermerkt für das Jahr 1350, dass es ein Jahr des Pesttodes und großer Unmenschlichkeit war. Mit der großen Unmenschlichkeit wird der Tod von etwa einem Drittel der Bevölkerung gemeint sein, vielleicht auch die Verfolgung der Juden.

Die Pest trat immer wieder auf, vom 15. bis 17. Jahrhundert über 30 Mal. Das öffentliche Leben wurde erheblich eingeschränkt. Während der Pest im Jahre 1484 fiel die Sülfmeisterverköstigung aus, 1516 die Barmeisterkost, 1525 wiederum die Sülfmeisterverköstigung, 1548 duldete der Rat keinerlei Menschenansammlungen, selbst Hochzeiten durften nicht stattfinden und 21 Brauhäuser stellten ihren Betrieb ein. Der Brauer und Chronist Jürgen Hammendstede berichtet, dass Joachim Boie am 4. Mai 1585 bei den letzten Vorbereitungen zu seiner Hochzeit der Pest erlag.

Man zog in dieser Zeit bereits Fachliteratur zu Rate. In der Lüneburger Ratsbücherei befindet sich das Werk des Mediziners und Mathematikers Burkhard Mithoff „Wie man sich für der hefftigen vnd tödlichen Seuche der Pestilentz bewaren soll/ Und so einer damit angegriffen/ oder auch mit andern zuselliger kranckheiten behafft/ mit was Artzney dem zuhelffen: Beyde Reichen vnd Armen auß laner erfarung vnnd den fürtrefflichsten Ertzten zusamen getragen“, erschienen 1564 in Marburg. Für 1604 und 1681 lässt sich auch die Bestallung sogenannter Pest-Chirurgen nachweisen.

Selbst bei der Abfassung eines Testaments ließ man Vorsicht walten. Als die an der Pest erkrankte Margarete, Ehefrau des Peter Schmidesz, am 26. August 1605 ihren letzten Willen formulierte, wurde das Testament an der Haustür abgeschlossen.

In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges, als sich viele Menschen und auch Tiere in der Stadt aufhielten, brach wieder einmal die Pest aus. Unter den Toten des Pestjahres 1622 waren viele Arbeiter der Saline, Böttcher und Schiffer. Selbst die Familien der Sülfmeister wurden nicht verschont. Die Ehefrau des Bürgermeisters Elver und drei weitere Personen in seinem Haushalt starben. Der Bürgermeister war selbst um seine Gesundheit besorgt, da er bereits fast 63 Jahre alt war. In den folgenden Jahren verschlimmerte sich die Situation. Der Stadtphysikus Dr. Mathaeus Backmeister, der gegen die Seuche ankämpfte, starb 1626 an einem hitzigen Fieber. Ein Jahr zuvor erschien in Lüneburg ein „Kurtzer Bericht: Wie man der ietzt ein. schleichenden Pest durch Gottes Gnade heilsam begegnen, dieselbe verhüten und curiren möge“. Als Verfasser zeichnen Mathaeus Backmeister und Johannes Elers, beide „bestalte Physicos der Stadt Lüneburg“.

Die enorme Kindersterblichkeit während der Pest im Jahre 1626 stellt das Epitaph für die sieben an der Pest dahingerafften Kinder des Lüneburger Pastors Sigismund Scherzius dar, das heute in der St. Nicolaikirche hängt. Zwei Söhne starben im Alter von 9 bzw. 16 Jahren, die fünf Töchter im Alter von 2 ½, 4, 11, 15 und 17 Jahren. Zwei der neun Kinder überlebten. Doch man war auch in Lüneburg bemüht, hygienische Verhältnisse zu schaffen. Davon zeugen archäologische Funde von Floh- oder Läusekämmen.

Die letzte Pest suchte Lüneburg in den Jahren 1709–1713 heim.

(Prof. Dr. Edgar Ring)

Serie „Pest und Cholera”, Teil 5
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